Unerwiderte Liebe – Wie gehe ich damit um?
In einem weiteren Interview habe ich kürzlich mit der „Berliner Morgenpost“ über unerwiderte Liebe gesprochen. Doch nicht alle Gedanken fanden im Artikel Platz. Hier möchte ich ein paar wichtige Aspekte genauer beleuchten.
Aus meiner Arbeit und Erfahrung lassen sich drei wesentliche Erkenntnisse zu unerwiderter Liebe ableiten:
📋 Das Wichtigste in Kürze
- Je schneller man die Realität akzeptiert, desto einfacher wird es. Meistens können wir dem vertrauen, was der andere uns signalisiert. Wenn die Person uns Zuneigung beteuert, wird sie uns auch mögen. Und wenn sie uns etwas anderes vermittelt, nimm es ebenso ernst.
- Tiefe Liebe braucht den anderen nicht. Schmerzhaft ist vor allem das Gefühl, den anderen zu brauchen und nicht frei zu sein.
- Und gleichzeitig ist es menschlich, wie du dich fühlst. Du bleibst liebenswert. Ungleich verteilte Zuneigung kennen die meisten von uns.
1. Was ist unerwiderte Liebe?
Das hängt davon ab, was wir unter Liebe verstehen. Ich unterscheide zwischen drei Formen der Liebe: Verliebtsein, partnerschaftliche Liebe und eine tiefere Liebe, die sich auf das gesamte Leben richtet – unabhängig von einer Erwiderung. In diesem Zusammenhang geht es vor allem um die ersten beiden: Verliebtsein, das von Sehnsucht und Leidenschaft geprägt ist, und partnerschaftliche Liebe, die auf Gegenseitigkeit beruht.
Unerwiderte Liebe zeigt sich oft daran, dass wir uns fühlen, als müssten wir einem Menschen ständig hinterherlaufen – und das tut weh. Wir haben Erwartungen an Nähe, Kontakt oder Aufmerksamkeit, die nicht erfüllt werden. Typische Anzeichen sind unbeantwortete Nachrichten, häufige Absagen oder der fehlende Wunsch des anderen, selbst Kontakt aufzunehmen.
Das Problem ist: In der Verliebtheitsphase fällt es uns schwer, diese Zeichen zu sehen. Wir reden uns ein, dass es anders sein könnte, oder basteln uns Geschichten voller Hoffnung. Manchmal sind wir so im Rausch, dass wir die Distanz gar nicht wahrnehmen wollen.
2. Warum verlieben wir uns in emotional unerreichbare Menschen?
Zuneigung ist nicht selten ungleich verteilt. Für viele Menschen ist es attraktiv, wenn der andere nicht ständig verfügbar ist und sehr selbständig scheint. Das vermeintlich Unerreichbare hat oft eine Anziehungskraft – es ist wie ein Rätsel, das es zu lösen gilt.
Besonders, wenn wir selbst unbewusst Schwierigkeiten mit emotionaler Nähe haben, ziehen uns solche Konstellationen an. Es kann auch mit Erfahrungen aus der Kindheit zusammenhängen – wenn wir gelernt haben, dass Liebe oft schwer zu bekommen ist oder mit Schmerz verbunden sein kann. Unerwiderte Liebe ist zwar oft schmerzhaft, aber sie bietet auch Gelegenheit, unsere Muster besser zu verstehen und uns davon befreien zu können.
3. Welche Faktoren begünstigen unerwiderte Liebe? Kindheitserfahrungen und Beziehungsmuster
Es gibt bestimmte Faktoren, die unerwiderte Liebe begünstigen können. Wenn ein Kind zum Beispiel wiederholt das Gefühl hat, für die Liebe seiner Bezugsperson kämpfen zu müssen, kann es später dazu neigen, sich zu Menschen hingezogen zu fühlen, bei denen es schwer ist, ihre Liebe zu gewinnen. Das liegt daran, dass das Nervensystem diese Art von „unerreichbarer Liebe“ als vertraut erlebt. Liebe fühlt sich dann an wie ein Luftballon, der einem aus den Händen entgleitet und immer höher steigt – je mehr man sich streckt und danach greift, desto weiter entfernt er sich, bis man nur noch die Leere in der Hand spürt – selbst wenn der andere einen tatsächlich liebt.
Auch frühere Beziehungen können Einfluss haben. Wenn wir in der Vergangenheit oft zurückgewiesen wurden oder eine Beziehung erlebt haben, in der wir nicht gleichwertig geliebt wurden, können wir uns unbewusst in ähnliche Situationen begeben. Es ist, als ob wir hoffen, diese alten Wunden zu heilen, indem wir diesmal „gewinnen“.
Diese Muster sind keine bewussten Entscheidungen, sondern unbewusste Überlebensstrategien, die uns geprägt haben. Das Streben nach unerwiderter Liebe kann also ein Versuch sein, alte, ungelöste Bindungsschmerzen zu überwinden – auch wenn es paradoxerweise dazu führt, dass der Schmerz immer wieder neu erfahren wird.
4. Psychische Folgen von unerwiderter Liebe: Selbstzweifel und Trauer
Die psychischen Folgen können schwerwiegend sein. Aber sie entstehen nicht allein aus der Tatsache, dass unsere Gefühle nicht erwidert werden. Vielmehr zeigen sie, wie gut wir persönlich mit emotional belastenden Situationen umgehen können.
Die Forschung zur Resilienz – also unsere Fähigkeit gut mit Problemen umzugehen – hat aufgezeigt, wie wir gut mit emotionalem Stress umgehen können. Doch das ist nicht immer einfach.
Für viele bedeutet unerwiderte Liebe, dass sie in einen Kreislauf aus Selbstzweifeln, Traurigkeit oder sogar depressiven Phasen geraten. Gedanken kreisen ständig um dieselbe Person, und das kann unseren Alltag und unsere Lebensfreude stark einschränken. Es ist wichtig, sich selbst in solchen Momenten mit Mitgefühl zu begegnen. Es geht nicht darum, diese Gefühle zu verdrängen, sondern einen Weg zu finden, sie zu verstehen und zu verarbeiten.
5. Wie mit unerwiderten Gefühlen umgehen? Praktische Tipps
Im Kern sind alle von uns bereits vollständig und liebenswert – unabhängig davon, ob die eigenen Gefühle von jemand anderem erwidert werden. Diese Einsicht kann ein Schlüssel sein, um mit unerwiderten Gefühlen umzugehen. Auch wenn es schmerzt, bietet diese Erfahrung die Möglichkeit, sich selbst zu entdecken und besser kennen zu lernen.
Alle Gefühle dürfen erstmal sein. Es ist völlig in Ordnung, traurig, enttäuscht oder wütend zu sein. Es hilft, sie bewusst wahrzunehmen, ohne sie auszuleben oder sich von ihnen überwältigen zu lassen. Das schafft Raum dafür, dass manche Gefühle in den Hintergrund treten und wir mit weiteren Gefühlen in Kontakt kommen, die dann auch wieder weiterziehen können.
Unerwiderte Liebe ist auch ein Trauerprozess – ein Abschied von einer Hoffnung oder einem Wunschbild. Trauer verläuft in Wellen und braucht Zeit. Es hilft, den Schmerz anzunehmen, ihn auszudrücken und gleichzeitig Mitgefühl mit sich selbst zu haben. So fühlen wir wieder die Freude am Leben.
6. Wie lässt man unerwiderte Liebe los?
Loslassen bedeutet, nicht länger aktiv festzuhalten – also aufzuhören uns mit Dingen zu beschäftigen, die uns emotional an die andere Person binden. Es geht also darum, sich dem hausgemachten Liebesstrudel langsam wieder zu entziehen. Dabei können praktische Schritte helfen:
Der erste Schritt besteht darin, die Realität zu akzeptieren. Es tut weh, anzuerkennen, dass die Gefühle nicht geteilt werden, aber gerade in dieser Akzeptanz liegt der Schlüssel zum Loszulassen. Teil dieser Akzeptanz ist auch die Erkenntnis, dass wir uns in ein Wunschbild verliebt haben – das wenig mit dem zu tun hat, wer der andere Mensch tatsächlich ist.
Und Abstand ist wichtig. Die andere Person so wenig wie möglich sehen. Ansonsten werden die eigenen Gefühle immer wieder aufgewühlt und können nicht langsam zur Ruhe kommen.
Ressourcen, die aus dem Blick geraten sind, sollten wieder genutzt werden. Gespräche mit Freund:innen, Familie oder professionellen Helfer:innen helfen sehr, wieder zu sich zu kommen. Auch Sport und andere Aktivitäten, die vielleicht vernachlässigt wurden, bringen uns wieder ins Gleichgewicht.
Und Geduld haben. Dieser Prozess dauert eine Weile – es ist ein bisschen wie ein Drogenentzug mit Entzugserscheinungen. Und auch wenn es abgedroschen klingt: Zeit heilt hier wirklich alle Wunden. Der Körper braucht nur eine Weile, bis alte Muster verblasst sind und sich neue eingestellt haben. Hier spielen auch biochemische Prozesse eine Rolle, die Zeit benötigen, bis sie sich neu eingestellt haben.