Warum enden Paare, die mit viel Liebe und Wohlwollen gestartet sind, in Streit und Konflikt? Welche Muster und Dynamiken machen aus einem Team zwei Menschen, die sich in gegenseitigen Vorwürfen verstricken und zunehmend Schmerz in sich tragen?
Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Einige davon haben wir abgelegt – sie verblassen in unserer Erinnerung oder berühren uns nicht mehr. Andere Erfahrungen haben Spuren hinterlassen. Wenn diese aktiviert werden, erleben wir Schmerz, Wut, Traurigkeit oder andere Emotionen, die wir als unangenehm erleben. Haben wir in der Vergangenheit etwa die Erfahrung gemacht, übersehen zu werden, reagieren wir sensibler, wenn wir das Gefühl haben, von unserer Partner:in ignoriert zu werden.
Für diese schmerzhaft abgespeicherten Erfahrungen gibt es unterschiedliche Bilder: offene Wunden, aufgeschürfte Stellen, emotionaler Rucksack oder emotionale Fettnäpfchen. Ich verwende das Bild von emotionalen Schürfwunden für diese empfindsamen Stellen. Diese Schürfwunden sind höchst individuell. Eine berührungsempfindliche Stelle bei mir kann schon bei der leichtesten Berührung schmerzen, während mein Gegenüber dort eine schützende Hornhaut entwickelt hat, die man übermütig knuffen kann.
Um zu verstehen, wie in einer liebevollen Beziehung verletzende Spitzen Einzug halten, können wir den Verlauf einer Beziehung holzschnittartig in drei Phasen unterteilen. In jeder Phase unterliegen diese Schürfwunden einem unterschiedlichen Zusammenspiel.
Phase 1: Das Romantische Paar
Das romantische Paar: Anfangs nehmen wir unseren Partner oder unsere Partnerin als eine beruhigende Präsenz wahr, neben der unsere Schürfwunden verblassen. Wir schätzen und lieben diese Person, weil sie unsere Wunden zu lindern scheint oder weil wir sie in ihrer Gegenwart vergessen, abgelenkt durch das gemeinsame Glück. Wir spüren Nähe, Wertschätzung und Akzeptanz – Probleme scheinen weit entfernt.
Phase 2: Die Partner:in wird als Ursache des Schmerzes angesehen
Mit der Zeit nehmen wir unseren Partner oder unsere Partnerin weniger als fürsorglichen Umgang mit unseren Schürfwunden wahr, sondern als jemanden, der sie häufig berührt. Das Gefühl des Verstandenwerdens weicht der Irritation darüber, dass ausgerechnet der Mensch, der uns guttun sollte, Schmerzen verursacht. Beide Partner fühlen sich oft als Leidtragende, ohne zu erkennen, dass sie in einem schmerzhaften Interaktionszyklus gefangen sind, in dem der Schmerz des einen den Schmerz des anderen auslöst. Statt als Heilmittel für unsere Wunden, erscheint der Partner nun als Quelle des Unrechts. Innerlich beschuldigen wir ihn als den Grund für unsere Probleme und fühlen uns mitunter isoliert und missverstanden.
Das ist häufig der Punkt, an dem Paare eine Therapie aufsuchen. Sie erkennen dort ihre Schmerzspirale und lernen gemeinsam damit umzugehen.
Phase 3: Die Schmerzspirale als gemeinsamer „Feind“ der Beziehung
Die Schmerzspirale als gemeinsamer Feind: In der dritten Phase erkennt jedes Individuum, dass nicht der Partner oder die Partnerin das Problem ist, sondern die sich entwickelte Dynamik zwischen beiden. Sie zeigen nicht länger mit dem Finger aufeinander, sondern blicken gemeinsam auf die Dynamik als den eigentlichen „Feind“ der Beziehung. Sie begreifen die Gründe für ihre Reaktionen und wie diese beim anderen emotionale Reaktionen hervorrufen, die den Weg zu einer Lösung erschweren. Das Ziel verschiebt sich: Es geht nicht mehr darum, den anderen zu ändern, sondern darum, gemeinsam zu lernen, aus der zerstörerischen Dynamik auszusteigen.
Die Ursache von Konflikten liegt also häufig in schmerzhaften Erfahrungen, die in uns fortleben und berührt werden können. Das Berühren dieser emotionalen Schürfwunden löst Reaktionen aus, die wiederum die Wunden des Partners berühren. Therapie hilft Paaren, einen Weg aus dieser Dynamik zu finden. Wenn Paare die Dynamik erkennen und beschreiben lernen, können sie auch eigenständig einen Ausweg finden. Das Ermutigende ist: Es genügt, wenn ein Partner beginnt, die Dynamik zu verändern und neue Wege im Umgang mit dem eigenen Schmerz zu beschreiten.