Interview: Wie verhalten, wenn Partner*innen sich distanzieren?

von | Mai 12, 2020

Für den Online-Corona-Kongress hat Paarberater Ralph Piotrowski darüber gesprochen, wie „Partner*innen und Familie heil durch den Alltag kommen„. Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung des Interviews aus dem Beitrag: „Wie kann man sich als Paar in einer Ausnahmesituation verhalten?

Im vergangenen Beitrag haben wir gelernt, dass es entscheidend ist, eine Tagesstruktur herzustellen um eine Verlässlichkeit im Tagesablauf zu erhalten. Wichtig ist es, diese mit seinem Partner oder seiner Partnerin zu kommunizieren. Was macht man aber, wenn der Partner oder die Partnerin sich zurückzieht und die Kommunikation erschwert ist?


Wie verhalten ich mich, wenn der Partner oder die Partnerin sich distanziert?

Interviewerin: Sie beschreiben es so schön, wenn zwei Menschen bewusst zusammen sind, miteinander sprechen, beide ein Gefühl für sich haben und auch miteinander reden können, so wie Sie es gerade beschrieben, dann funktioniert das sicherlich. Was macht man denn, wenn die Partner*in nicht mitmacht? Was kann man denn selbst für sich tun, damit man nicht so belastet ist davon?

Ralph Piotrowski: Hier kommen Fragen von spezifischeren Paardynamiken rein. […] Was normalerweise passiert, wenn die Partner*in außer sich gerät, ist, dass man auch selber in irgendeiner Weise nicht mehr in sich ruht. Die Frage hier ist, warum es diesen Paaren so selten gelingt, es als interessante Information anzusehen, dass die Partner*in offensichtlich in Not ist und Unterstützung braucht.

Interviewerin: Können Sie das für uns mal ganz kurz erklären, warum das dann eigentlich nicht funktioniert und sich oft so aufheizt in so einer Situation?

Ralph Piotrowski: Es kann manchmal funktionieren, es fällt Einigen nur sehr schwer. Es ist aber was, das man trainieren kann, sodass es umso öfter funktioniert. Das Problem ist nicht der Streit normalerweise, das Problem ist nicht, dass man irgendwann mal emotional irgendwie aus sich rausgeht, sondern was danach passiert:

  • Wie schnell kommt man wieder zurück?
  • Wie schnell kommt man wieder in das Gespräch rein?
  • Führt es dazu, dass man sich stunden- oder tagelang zurückzieht?

Das ist glaube ich, das eigentlich Belastende. Oder kommt man relativ schnell wieder ins Gespräch, wo man sich wieder in die Augen schauen kann?

Es passiert eben, weil wir hormonell gesteuert sind und physiologische Reaktionen stattfinden. Doch wenn sie mal passiert sind, dann ist es auch meistens zu spät. Das Training besteht nicht darin, dass man sich sofort regulieren kann nachdem man außer sich war. Ich glaube das kann keiner. Das Training besteht darin, mitzubekommen, dass etwas passiert, was einem nicht gut tut. Es passiert irgendwas in einem, denn letztendlich ist es nie der andere, den man nicht erträgt. Letztendlich steigt irgendein Gefühl, irgendeine emotionale Reaktion in einem hoch, wodurch es für einen so unerträglich ist, dass es dann auch nacheinander nach außen geht. Das rechtzeitig mitzubekommen und vielleicht auch rechtzeitig mitzubekommen, wenn es der Partner*in so geht, […] ist entscheidend für die Nachsicht. Die Chance der Situation liegt wirklich in dieser Nachsicht, die wir jetzt haben können, weil man es nicht persönlich nehmen muss.

Wenn irgendwas passiert, mit dem man unzufrieden ist oder einen belastet, kann man das mit der [aktuell] schwierigen Situation begründen, aber auch damit, dass man die ganze Zeit mit Medienberichten konfrontiert ist, die man irgendwie verarbeiten muss, dass man mit existenziellen Fragestellungen konfrontiert ist, die man verdrängt. […] Irgendwo prozessiert man das und das kann belasten. Dieses Bewusstsein, dass es gerade eine belastende Situation ist, kann man sich gutschreiben. Der Partner oder die Partner*in darf auch mal außer sich geraten und es ist nicht gegen einen selbst gerichtet. Das weiß man im Kopf, auch wenn es sich anders anfühlt. Diese Diskrepanz zu manövrieren, das ist das, was man trainieren kann und schwierig ist.

Interviewerin: Was sagen Sie denn zu so einer Situation, in der eine Partner*in aus der Situation herausgeht? Einige fühlen sich dann alleine gelassen mit den eigenen Gefühlen, wenn die Partner*in dann einfach weg geht. Halten Sie es für sinnvoll, dass man aus Situationen rausgeht, damit Menschen sich beruhigen können?

Ralph Piotrowski: Was Sie beschreiben, ist eine ganz typische Paardynamik, die stattfindet. Je länger man zusammen ist, desto mehr bilden sich so ähnliche Dynamiken raus. Eine Dynamik, mit der man es auf die Spitze treibt und die aber auch nicht so selten ist, ist die vom Verfolger, von jemandem, der einen anderen verfolgt und der andere andere sich zurückdreht. Das ist eben ein Kreislauf. Je mehr sich die eine Person zurückzieht, desto unerträglicher wird es für die andere Person, desto mehr verfolgt die andere Person dies, desto mehr zieht sie sich zurück. […] Was jetzt passiert, wenn sich die Partner*innen gegenüberstehen, ist die Schuldzuweisung. Der eine gibt der Partner*in die Schuld, weil es ihn verfolgt. Der andere gibt der Partner*in die Schuld, weil er sich zurückzieht.

Das, was in der Paartherapie im besten Falle passiert, ist, wenn beide Partner*innen, die anfangs gegenüberstehen und mit dem Finger aufeinander zeigen, durch den großen Shift dann beide mit dem Finger auf diesen Kreislauf zeigen. Nicht der andere ist der Feind, sondern dieser Kreislauf ist der Feind. Erfolgversprechend in einer Paartherapie ist der Moment, in dem man lernt auszudrücken, was einen zum Rückzug bewegt oder welche Not einen dazu bewegt, dem anderen hinterherzulaufen und zu erkennen, dass man in diesem Kreislauf ist.

Methoden um mit der Distanzierung umzugehen

Interviewerin: Haben Sie praktische Methoden, womit Sie gute Erfahrung gemacht haben und den Leuten mitgeben können?

Ralph Piotrowski: Der Hauptratschlag ist, dass man mit einer Basis für sich selber starten muss. Sie dürfen auch für sich selbst sorgen, damit Sie gut für Ihre Kinder da sein können. Das ist in der Situation vielleicht nicht einfach, aber allein dieser Gedanke kann schon entlastend sein. […]

Diese Tagesstrukturierung hilft sehr und auch den Kindern zuzugestehen, dass es ebenso eine Stresssituation für die Kinder ist […]. Was ich gerade sehr gerne mache, ist einfach viel toben mit den Kindern. Wenn es draußen nicht geht, einfach im Bett toben, Kissenschlachten machen, sich gegenseitig durch die Wohnung jagen.

Was auch sehr gut ist, sind die sogenannten Paargespräche, wo jede Person fünf bis zehn Minuten darüber redet, wie es ihm oder ihr geht und der andere ihm oder ihr das Geschenk des Zuhörens macht. Es geht nicht darum zu kommentieren, sondern beim anderen zu sein und ihm oder ihr das Geschenk zu machen. Es geht auch darum, zum Ausdruck zu bringen, wie es einem gerade geht und was die Situation mit einem macht. Ich glaube wir unterhalten uns gerade sehr viel über die Situation und weniger auf einer bisschen tieferen Ebene darüber, wie es einem gerade geht und was es mit einem macht. “Wo bin ich verzweifelt? Wo bin ich mit den Kindern verzweifelt? Wo habe ich vielleicht Schamgefühle? Wo fühle ich mich überfordert?” Es ist in Ordnung sich einzugestehen, dass es eine überfordernde Situation ist.

Interviewerin: Vielen vielen Dank für das tolle Interview. Gibt es noch irgendwas, was Sie gern unseren Zuschauern mitgeben möchten, was wir jetzt nicht besprochen haben?

Ralph Piotrowski: Es gibt gerade ganz tolle Dinge, ganz viel Solidarität und Dinge, die schön sind und Freude machen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren sollten. Der Blick soll nicht nur auf die schlechten Dinge geworfen werden, auch sollten nicht zu viele schlechte Nachrichten gelesen werden. Schöne Dinge sollten geteilt und weitererzählt werden. […] Selbst das Lächeln auf der Straße wahrzunehmen, wenn man sich gerade in diesem Abstand begegnet, ist einer solcher Momente, die man pflegen und an denen man sich erfreuen kann.

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